Frankfurter Stadtteile im Wandel

Die Dornbusch-Siedlung - nicht wie alle anderen

Christiane Boehm-Kochanski

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Die Dornbusch-Siedlung an der Eschersheimer Landstraße, gelegen zwischen den U-Bahn-Stationen Dornbusch und Fritz-Tarnow-Straße. Man fährt daran vorbei und denkt: Naja, eine der vielen 50er-Jahre-Siedlungen, nix Besonderes. Dabei war diese Siedlung, bezogen ab 1955, mal eine Modell-Siedlung, die Fachbesucher von weither anzog. Könnte sie heute trotz ihres Alters von fast 70 Jahren noch als Vorbild dienen?

Was war die Idee dieser Siedlung? Sie wurde geplant und gebaut von der gewerkschaftseigenen Wohnungsbaugenossenschaft GEWOBAG, deren Geschäftsführer Reinhold Tarnow und Dr. Hans Kampffmeyer (der Jüngere) waren. Dessen Vater Dr. Hans Kampffmeyer (der Ältere) war schon seit Beginn des 20. Jahrhunderts ein Vorkämpfer der Gartenstadt-Bewegung und hat damit auch seinen Sohn beeinflusst. Gartenstadt - das ist eine in sich geschlossene Siedlung, die nahezu alle notwendigen Einrichtungen für die Bewohner enthält. Sie mischt verschiedene Haus- bzw. Wohntypen, die aber in der Gestaltung aufeinander abgestimmt sind. Und dazwischen viel Grün, viele Gärten - für die private Nutzung und als Treffpunkte für die Gemeinschaft, die dadurch auch zusammenwachsen sollte.

Die meisten frühen Gartenstädte waren ein Stück weit von den Kernstädten und damit auch von den Arbeitsplätzen entfernt. Die Dornbusch-Siedlung aber entstand direkt an der uralten Außengrenze Frankfurts, der Landwehr, die in diesem Bereich Diebsgrund genannt wurde. Die Siedlung war extrem gut an die Stadt angebunden durch die Straßenbahnlinien in Richtung Taunus und durch die frühere Round-up der Amerikaner, die Straßenbahnlinie 13 über den Marbachweg. Damit entsprach sie fast dem heutigen Ideal der 15-Minuten-Stadt. Kurze Wege zur Arbeit, und das möglichst mit öffentlichen Verkehrsmitteln oder dem Rad.

 

Gebaut wurde die Siedlung nicht gerade auf der grünen Wiese, aber auf ein vorher noch nie bebautes Gebiet, das vor allem von kleinen bis sehr großen Gärtnereien genutzt wurde. Zwei davon blieben auch noch jahrzehntelang bestehen, sodass die Siedlung nach Norden von Gärtnereien und nach Osten von einer Kleingartenkolonie umrandet wurde und auch mittendrin viel Gemeinschaftsgrün enthielt. Dazwischen entstanden 177 Ein- Familien-Reihenhäuser, 646 Wohnungen in Mehrfamilienhäusern und ein kleines Hochhaus für Studenten und Lehrlinge. Die Wohnungsnot war Mitte der 1950er noch groß, zahlreiche Flüchtlinge, Ausgebombte und überhaupt junge Familien waren auf der Suche. Entsprechend gab die GEWOBAG genaue Kriterien vor, nach denen sie die Wohnungen und Häuser vergab.

 

Praktisch alle 50er-Jahre-Siedlungen der Stadt enthielten einige Geschäfte für den täglichen Bedarf und manchmal auch eine Sparkasse oder Postfiliale. Die Dornbusch-Siedlung aber bekam darüber hinaus eine lange Ladenzeile mit Filialen namhafter Innenstadt-Geschäfte, sodass man auch für den Kauf von Mode, Spielzeug, Kameras, Radios und bald auch Fernsehern nicht mehr in die Stadt fahren musste. Für die zahlreichen Kinder der Siedlung gab es zwischen allen Häuserblöcken kleine Spielplätze und einen großen Spielplatz im Zentrum. Ganz schnell entstanden eine Volks- und eine Mittelschule (heute Grund- und Realschule), die rasch stark erweitert werden mussten, dann mit der Wöhlerschule ein Gymnasium (zunächst aber nur für Jungen), dann ein Kindergarten, dann zwei Sonderschulen sowie eine evangelische Kirche (deren Kirchengebäude später spektakulär halbiert wurde).

Bundesweite Aufmerksamkeit erregte das ganz neue Konzept des von der Saalbau AG betriebenen Haus Dornbusch: ein Bürgergemeinschaftshaus, das nicht nur wie bislang meist üblich Clubräume, Kegelbahn und Restaurant bot, sondern auch einen (teilbaren) großen Saal, in dem regelmäßig auch Filme gezeigt, Vorträge gehalten, Tourneetheater gespielt oder Konzerte gegeben wurden. Auch eine Tanzschule unterrichtete dort. Bald wurde noch ein Jugendhaus mit mehreren Werkstätten, Sportmöglichkeiten und kleinem Saal angegliedert. Außerdem gehörten zu diesem Komplex Sozialstationen, vor allem für junge Mütter und alte Menschen, eine große, moderne Stadtbücherei und in einem Extratrakt ein Postamt, eine Bankfiliale und zeitweilig auch eine Buchhandlung. Man musste die Siedlung also wirklich nur sehr selten verlassen.

„Und als ich dann die Haustür meines Elternhauses zum letzten Mal abgeschlossen habe, war klar: jetzt schreibe ich die Geschichte dieser immer noch schönen Siedlung.“

Rund 20 Jahre lang funktionierte die Siedlung mit ihren Einrichtungen gut. Ab Mitte der 70er-Jahre wurde es schwieriger, denn es kamen viele Probleme und Veränderungen zusammen: die GEWOBAG wurde von der Neuen Heimat übernommen, die einige Zeit später in finanzielle Schieflage geriet und schließlich insolvent wurde. Ein Teil der Mehrfamilienhäuser wurde privatisiert und nach und nach als Eigentumswohnungen verkauft, andere Häuserblocks wurden von der GWH übernommen. Die Saalbau AG geriet in Finanznöte und verkaufte das Haus Dornbusch, das dann abgerissen wurde. Im jetzigen Neubau an der Eschersheimer Landstraße sind öffentliche Einrichtungen (Bürgeramt, Jugendräume, Vereinsräume, Bibliothek) nur noch in bescheidenerem Umfang zu finden. Dahinter entstanden moderne Blocks mit Eigentumswohnungen. Das Freizeitverhalten der Bewohner veränderte sich: Man sah immer mehr zu Hause fern, statt zu Veranstaltungen zu gehen. Und auch das Einkaufsverhalten, das durch den U-Bahn-Bau und die Teilung der Eschersheimer Landstraße Ende der 60er-Jahre schon verschoben worden war, veränderte sich grundlegend: Man kaufte immer weniger in kleinen Lädchen, sondern pilgerte einerseits in die Supermärkte und andererseits in die immer größer werdenden Konsumtempel der Innenstadt. Und inzwischen kommt ja sowieso eher der Paketbote ... So verlor auch die Ladenzeile Schritt für Schritt ihren Glanz.

Nicht nur die Siedlung alterte nach und nach, sondern auch ihre Bewohner. Es gab immer weniger Kinder, die Spielplätze verkamen. Jetzt - wiederum Jahrzehnte später - ändert sich das Bild langsam wieder. Nahezu alle "Ureinwohner" sind gestorben, auch ihre Kinder, die oft die Häuser übernommen hatten, werden alt. Es ziehen wieder mehr junge Familien mit kleineren Kindern ein. Sehr viele Häuser sind erweitert, saniert und modernisiert worden oder werden es jetzt. Einige aber stehen leer und wachsen zu - noch sind offensichtlich nicht alle Nachfolge- oder Erbfragen geklärt. Und die Preise der Häuser sind so stark gestiegen, dass sie nicht mehr so leicht für junge Familien zu erschwingen sind. Einfamilienhäuser in so zentraler Lage werden nicht mehr gebaut!

 

Kann eine solche Siedlung noch als Vorbild dienen? Dr. Hans Kampffmeyer, der 1956 Baudezernent der Stadt wurde, hat in den 1960er-Jahren das Konzept in viel größerem Maßstab noch einmal mit der Nordweststadt weiterentwickelt. Da der Bewohner- und Haustypen-Mix aber nicht so detailliert abgestimmt war, gab es dort weit mehr Probleme und Konflikte. Heutige Neubausiedlungen versuchen, aus den knappen, teuren Flächen das Maximale herauszuholen. Grün- und Gemeinschaftsflächen kommen dabei meist zu kurz. In jedes Neubauvorhaben 30 % geförderten Wohnraum einzuplanen, ist sicher sozial richtig. Es müssen aber auch Angebote hinzukommen, die ein Zusammen-Leben der Bewohnerschichten fördern - Sportmöglichkeiten, Gemeinschaftsgärten und manches andere. In der Dornbusch-Siedlung, die hier viel zu bieten hatte, gab es auch kein perfektes Zusammenwachsen zwischen den Familien in den Ein- und den Mehrfamilienhäusern. Es wurde aber gefördert vor allem durch uns Kinder.

Meine Geschwister und ich haben unsere Kindheit und Jugend in der Fritz-Tarnow-Straße verbracht, meine Tochter ging dort in den Kindergarten und in die Schule, meine Eltern lebten dort bis zu ihrem Tod. So blieb ich der Siedlung immer verbunden, auch wenn ich längst nicht mehr dort wohnte. Nach langen Jahren als Journalistin und später Einzelhändlerin arbeite ich jetzt seit einigen Jahren als Stadtführerin und habe mich intensiv in die Geschichte und Gegenwart vieler Frankfurter Stadtteile eingearbeitet. Nachdem mein Vater an Silvester 2019 mit 94 Jahren gestorben war, fand ich in seinem Nachlass eine Menge Unterlagen, entdeckte auch verschiedene Pläne meines Großvaters Herbert Boehm, der bis Ende 1954 Leiter des Stadtplanungsamts war. Und als ich dann die Haustür meines Elternhauses zum letzten Mal abgeschlossen habe, war klar: jetzt schreibe ich die Geschichte dieser immer noch schönen Siedlung. Ich habe im Institut für Stadtgeschichte recherchiert, viele Bücher und natürlich auch das Internet durchstöbert und mit vielen früheren und heutigen Bewohnern der Siedlung gesprochen. Und ich freue mich, dass nicht nur in unserem früheren Haus jetzt wieder Kinder wohnen und dass die Siedlung nicht nur eine Vergangenheit, sondern auch eine Zukunft hat und sich immer weiter verändert.

Über die Autorin: Geboren 1949 in Frankfurt, aufgewachsen in der Heimatsiedlung und der Dornbuschsiedlung, hat sie sich schon als Kind für die Geschichte Frankfurts interessiert. Die drei Bände von "Das unbekannte Frankfurt" gehörten zu ihren Lieblingsbüchern. Familieneinflüsse kamen hinzu: Ihr Großvater Herbert Boehm war bis zu seinem Tod Leiter des Stadtplanungsamts, ihr Vater Reimar Boehm begann seinen Berufsweg, der immer mit Frankfurter Immobilien zu tun hatte, bei der GEWOBAG, dem Bauherrn der Dornbuschsiedlung. Im Erwachsenenleben trat die Stadt in den Hintergrund, die Arbeit als Verlagsbuchhändlerin, Fachjournalistin, Studium der Betriebspädagogik und schließlich Selbständigkeit als Einzelhändlerin ("OrdnungsSINN.") hatten Vorrang. Und dann wurde aus dem Beginn des Ruhestands schnell ein bis heute anhaltender Un-Ruhestand, denn seitdem hat sie die Geschichte und Gegenwart vieler Frankfurter Stadtteile erkundet und gibt sie als Stadtführerin an Touristen und Einheimische weiter. Vielleicht ja auch die Geschichte der Dornbuschsiedlung, die zunächst als Broschüre erscheinen soll?

Kontakt zur Autorin: cb@frankfurtentdecken.de