Kunst- und Kulturgeschichte

Das Moderne Andreasgelage in Kelsterbach

von Hartmut Blaum

Teilen

Nun, wenn es ein modernes Andreasgelage im Jahr 2023 gab, dann muss es ja auch ein älteres Andreasgelage gegeben haben. Stimmt. Von 1372 bis nachweislich 1866 hat es dieses ältere Andreasgelage tatsächlich gegeben, über hunderte von Jahren hinweg. Der Ausgangspunkt war ein Grundstücksverkauf durch den Deutschen Kaiser Karl IV. im Jahr 1372 an die Stadt Frankfurt.

Aus dem riesigen ehemaligen Reichsforst der Dreieich, der das gesamte südhessische Gebiet umfasste, erhielten die Frankfurter den auch heute noch in seinen Grenzen bestehenden Stadtwald. Mit ein paar kleinen Haken und Einschränkungen. Die Weiderechte für die bisher anliegenden Gemeinden, die ehemaligen Huben des Reichsforsts, blieben erhalten. Und nun kommen auch die Kelsterbacher ins Spiel. Die Kelsterbacher durften auch nach 1372 weiterhin ihr Vieh in den Stadtwald treiben zur Waldweide. Geregelt wurde dieses alte Gewohnheitsrecht natürlich auch, und zwar im sogenannten „Andreasweistum“, das als historische Quelle erhalten blieb.

Doch wie bei jeder Einigung war es auch ein Geben und Nehmen. Frankfurt gab den eigenen Wald für die Viehbeweidung frei, holte sich dafür im Gegenzug jeden 30. November im Jahr, am Andreastag, den fälligen Weidezins in Kelsterbach und in anderen Orten. Das blieb so bis 1866, da legten die Preußen in Frankfurt keinen Wert mehr auf das Andreasgelage, und die Viehhaltung in den Ställen bedingt durch bessere Fütterung wurde Standard und machte die Waldweide verzichtbar. Und es wurde gefeiert am Andreastag, wenn die Frankfurter Förster mit der Kutsche nach Kelsterbach ins Forsthaus Hinkelstein kamen. So heftig, dass Kelsterbachs Landesherren stets die Haare zu Berge standen wegen der unglaublich hohen Rechnung für die Bewirtung der Frankfurter Gäste und, eigentlich nicht inbegriffen, des ganzen Ortes Kelsterbach. So entstand der Begriff Andreasgelage, und im Wort „Gelage“ schwingt die ganze überbordende Feier noch heute mit.

„Und es wurde gefeiert am Andreastag, wenn die Frankfurter Förster mit der Kutsche nach Kelsterbach ins Forsthaus Hinkelstein kamen. So heftig, dass Kelsterbachs Landesherren stets die Haare zu Berge standen wegen der unglaublich hohen Rechnung für die Bewirtung der Frankfurter Gäste (…).“

Das moderne Andreasgelage 1966 bis 2024

Das Volksbildungswerk Kelsterbach e. V. hatte sich im Jahr 1966 gemeinsam mit der Stadt Kelsterbach zum Ziel gesetzt, aus dem Andreastag, dem 30. November, und der Erinnerung an das „Andreas- oder Förstergelag“ mit Frankfurt einen Tag der Heimat zu machen; mit Geselligkeit, einem bildenden Festvortrag und gemeinsamem Essen und Trinken. Seit 1966, nur unterbrochen durch drei Jahre Corona-Pandemie, wurde der Anlass „Weiderechte im Frankfurter Stadtwald“ gefeiert, seit den 1970er-Jahren auch gemeinsam mit den Frankfurter Förstern und deren Leitungen. Im Jahr 1984 brachten der Vorsitzende des Volksbildungswerkes, Gustav Steubing, und der damalige CDU-Stadtkämmerer Ernst Gerhardt auch den Magistrat der Stadt Frankfurt am Main mit ins gemeinsame Feierboot.

Seitdem konnten die Kelsterbacher zum Andreasgelage nicht nur die Förster der großen Nachbarstadt begrüßen, sondern auch die Oberbürgermeister Andreas von Schoeler, Peter Feldmann und Mike Josef sowie über lange Jahre hinweg Bürgermeister Uwe Becker, Stadtkämmerer Ernst Gerhardt, die Baustadträte Hanskarl Protzmann und Franz A. Zimmermann und weitere Magistratsmitglieder. In Empfang genommen werden sie alljährlich vom Vorstand des Volksbildungswerkes Kelsterbach e. V. und vom Bürgermeister Kelsterbachs sowie dem Stadtverordnetenvorsteher. Und, man versichert sich in jedem Jahr aufs Neue: „Ich hoffe, ich habe nichts parteiliches gesprochen, und es bleibt alles beim alten, so wie wir es anhero gehalten!“ So lautete die Formel im Andreasweistum, nachdem man sich alljährlich die Rechte und Pflichten beim Viehtrieb im Stadtwald vorgehalten hatte und zum gemütlichen Feierteil überging.

Über den Autor

Der 1957 gebürtige Frankfurter Historiker und Germanist Hartmut Blaum hatte sich im Rahmen des Projektes Stadtteil-Historiker 2022-2024 zur Aufgabe gemacht, die nun schon seit 1966 währende Feier des „Modernen Andreasgelage“ zwischen Kelsterbach und Frankfurt nachzuzeichnen. Unterstützt wurde die Arbeit von der Stiftung Polytechnische Gesellschaft Frankfurt am Main, die dazu beiträgt, die „kleinen Geschichten“ innerhalb der großen Historie zu dokumentieren und zu bewahren. Blaum, der seit 1989 das Andreasgelage erlebt und mitgestaltet, ist seit 2014 Vorsitzender des Volksbildungswerkes, und somit beredter Zeitzeuge vieler Feiern zum Andreastag. Beruflich war und ist Hartmut Blaum mit Kelsterbach als ehemaliger Presseamtsleiter und Stadtarchivar eng verbunden. Blaum war zudem 2015 Initiator für das Jahrbuch des Kreises Groß-Gerau und setzt sich für die Erschließung der Regionalgeschichte ein. In seiner Schrift „Das moderne Andreasgelage in Kelsterbach 1966 bis 2024“ beschreibt Blaum die geschichtlichen Hintergründe des Andreasgelages, zeichnet die Wiederaufnahme der Feier im Jahr 1966 nach und berichtet über Festvorträge, Protagonisten aus Frankfurt und Kelsterbach und über Anekdoten, die die Presse einmal unter das Motto „Ebbelwoi und Politik“ stellte.

Kontakt zum Autor: Mail: hartmutblaum@yahoo.de.  Anschrift: Hartmut Blaum, Im Wingertsgrund 138, 61449 Steinbach.