Kirchen und Gemeinden

Das Haus der Stille: Gotteshäuser im 21. Jahrhundert?

von Marina Medina

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Die ersten Erzählungen von einem Gotteshaus in den abrahamitischen Religionen werden im Buch Exodus überliefert. In dieser ersten Überlieferung wird das erste Haus Gottes als ein Zelt aus feinen und kostbaren Tüchern und Gegenständen beschrieben, das die Hebräer mit sich trugen, solange ihre Wanderung dauerte, um Gott zu preisen und zu ehren. Jahrhundertelang galt der Tempel Salomos als unübertroffen und maßgebend für die Sakralarchitektur.

Das Christentum liefert im Neuen Testament keine Beschreibung für den Bau eines Gotteshauses, deshalb entwickelte sich dessen Bautradition nach dem Vorbild des Tempels Salomos. Seit dem Mittelalter gewinnt das Bild des Himmlischen Jerusalems (aus der Offenbarung des Johannes) an Bedeutung. Dieses Idealbild wird sich schließlich in den Kathedralen in ganz Europa widerspiegeln.

In der islamischen Tradition gibt es ebenfalls keine Vorschriften, wie eine Gebetsstätte aussehen soll. Die Moscheen waren ursprünglich ganz einfache, offene Plätze. Der Überlieferung nach soll der Prophet Mohammed in einem eingerahmten offenen Platz gebetet haben. Auch soll der Prophet selbst am Bau der ersten Moscheen, wie der Al-Quba-Moschee (außerhalb von Medina) und der Al-Nawabi-Moschee (in der Stadt Medina), mitgewirkt haben.

Die Moscheebauten haben sich im Laufe der Zeit weiterentwickelt und an die lokalen Gegebenheiten und Traditionen der jeweiligen Länder angepasst. So sind ganz unterschiedliche Baustile entstanden – von einer arabischen oder türkischen bis hin zu einer indonesischen Moschee. In Europa jedoch sind kaum solche großartigen Bauten zu sehen, ja, Moscheen sind dort von außen oft kaum als solche erkennbar.

Die lange Tradition der Sakralarchitektur in Europa wird nach dem Zweiten Weltkrieg unterbrochen. Es entwickelte sich ein völlig neues Verständnis von Raum und Funktion der Sakralbauten, was ich am Beispiel von sechs Frankfurter Kirchen aus verschiedenen Stadtteilen verdeutliche. Wichtig sind die Spaltung der christlichen Kirche und die Architekturmerkmale nach der Reformation sowie die Bauten der Synagogen und die erste Moschee in Frankfurt am Main.

Der Schwerpunkt meines Buches ist das im Jahr 2010 eingeweihte Haus der Stille. Das Gebets- und Begegnungshaus steht auf dem Gelände der Goethe-Universität. Es steht für ein neues Konzept für das Zusammenkommen von jungen Gläubigen aus unter-schiedlichen Glaubensrichtungen. Architektonisch betrachtet, zeigt das Haus der Stille kein Ornament oder religiöses Merkmal. Es steht da, schlicht und offen für jeden, der für sich sein möchte oder an einer bestimmten gemeinsamen Gebetsstunde teilnehmen möchte.

»Das Haus der Stille steht für ein neues Konzept für das Zusammenkommen von jungen Gläubigen aus unterschiedlichen Glaubensrichtungen.«

Ohne eine bestimmte Liturgie vorzuschreiben, lädt das Haus der Stille zum gemein-samen Gebet ein. Das Haus der Stille wird keine Synagoge, keine Kirche und keine Moschee ersetzen können, jedoch bietet es ein Programm, das den Dialog und den Austausch der Religionen fördert. Es steht für Toleranz, Respekt und Verständnis für den Glauben der Anderen.

„Ich bin als Christ gegangen,
ich habe mich als Hindu gefunden
und ich kehrte als Buddhist zurück,
ohne doch aufgehört zu haben,
ein Christ zu sein.“

(Raimon Panikkar: „Der neue religiöse Weg. Im Dialog der Religionen leben“, München 1990, S. 51)

Obwohl sich dieses großartige Zitat direkt auf andere Weltreligionen bezieht, möchte ich es generalisieren und dieses Verständnis auf alle Religionen übertragen. Schön wäre es, wenn die Menschen lernen würden, sich in den anderen Religionen zu finden, ohne ihre eigene durch Gewalt oder Unterdrückung aufgeben zu müssen – und wenn sie dadurch bereit wären, viele bereichernde Begegnungen in Häusern der Stille miteinander zu teilen.