Frankfurter Stadtteile im Wandel

Das Deutschherrnviertel - Geschichte eines jungen Wohnviertels

von Dr. Rainer Linnemann

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Erst 2016 wurde mit einem Lückenschluss an der Gerbermühlstraße das Deutschherrnviertel komplett. Damit ist eines der jüngsten Wohnviertel Frankfurts fertig.

Es konnte entstehen, nachdem der Schlachthof abgerissen worden war. Vor dessen Bau gab es hier vor allem Wiesen, die zum Bleichen von Wäsche genutzt wurden.

Das Deutschherrnviertel liegt in Sachsenhausen zwischen dem Main, der Gerbermühlstraße, einer Eisenbahnlinie und dem Wasserweg. Insgesamt ist das Gebiet über 12 Hektar groß. Hier wurde 1885 ein Schlacht- und Viehhof gebaut. Er hatte einen guten Bahnanschluss, heißes Wasser direkt aus der Leitung und Kühlräume. Für das 19. Jahrhundert war das sehr modern und rationell.

Der Schlachthof wurde im 20. Jahrhundert mehrfach saniert. Schließlich wurde er zur Hälfte abgerissen und als „Kompaktschlachthof“ 1988 wiedereröffnet. Es sollte ihn nur noch knapp fünf Jahre geben.

Bis zu dem endgültigen Aus für den Schlachthof (Ende 1993) gab es viele Diskussionen, eine Unterschriftensammlung sowie ein Bürgerbegehren, das vor dem Hessischen Verwaltungsgericht scheiterte. Das Einzige, was vom Schlachthof überblieb, ist ein Gedenkstein der Fleischerinnung für die Opfer der Weltkriege, der heute auf dem Südfriedhof steht. Sonst wurde alles abgerissen, und der Hof wurde komplett nach Tatarstan (südwestlich des Urals) verkauft. So bekam man 2,3 Mio. DM für einen Schlachthof, in den man noch kurz vorher fast 50 Mio. DM gesteckt hatte.

Namensgeber des jetzigen Wohnviertels ist der Deutsche Orden. Schon zu Schlachthof- zeiten hieß die Straße, die heute die längste des Viertels ist, nach den Deutschherrn. Der Platz des Viertels ist mit Walther von Cronberg nach einem Hochmeister des Deutschen Ordens benannt. Diese Namensgebung überrascht. Denn auch wenn sich der Deutsche Orden heute vor allem karitativen Aufgaben widmet, hat er eine blutige und militaristische Geschichte. Am bekanntesten sind sein Einsatz in einem Kreuzzug sowie die Durchsetzung eines eigenen Staats in Ostpreußen (1230 – 1561, wesentliche Teile des heutigen Estland und Lettland bildeten den Deutschordensstaat). Vieles, was „Missionierung“ genannt wurde, war in Wirklichkeit ein blutiger Eroberungsfeldzug.

Für die Kreuzzüge gab es eine Begeisterungswelle, die viele Kreuzritter hervorbrachte: Freiwillige, die in den Krieg zogen, um die heiligen Stätten für die Christenheit militärisch zu erobern. Die Freiwilligen wurden mit der Aufnahme in den Adelsstand durch den Schlag zum Ritter gelockt. An die Ritter erinnern noch heute zahlreiche Straßennamen in Sachsenhausen.

»Erst Bleichwiese, dann Schlachthof, heute Platz zum Wohnen für 1.500 sowie zum Arbeiten für 1.200 Menschen.«

Erst Bleichwiese, dann Schlachthof, heute Platz zum Wohnen für 1.500 sowie zum Arbeiten für 1.200 Menschen – über die Geschichte des Viertels, seine wichtigsten Bauten und die Namensgebung der Straßen und des Platzes informiert die Website www.Deutschherrnviertel.org. Sie wurde im Rahmen dieses Projektes erstellt. Im ersten Monat wurden 350 Aufrufe gezählt.

Für die Erstellung der Seite recherchierte Rainer Linnemann nicht nur in der Literatur. Er sprach auch mit vielen Zeitzeugen. So etwa mit dem 97-jährigen Fritz Dinkel, der 1936 als Auszubildender in den Schlachthof eintrat und 1984 als dessen Leiter in den Ruhestand ging. Nebenbei erzählte Dinkel die Geschichte von Zoodirektor Bernhard Grzimek, der im Schlachthof einen Bären sezierte, weil es im Zoo dafür nicht die notwendigen Tische gab.