Jüdisches Leben in Frankfurt

Baumweg 5-7: Die "zweite Synagoge" Frankfurts

von Elizabeth Donaldson, M. A.

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Man kann zwischen Berger Straße und Sandweg den Baumweg entlang schlendern, ganz ohne die Synagoge zu bemerken. Das Haus, 1906 gebaut, ist eher bescheiden, aber immerhin steht es als eins der wenigen im Baumweg, die beide Kriege überstanden haben.

Man geht einfach vorbei, weil es weder Schilder noch Zeichen gibt, die die Aufmerksamkeit der Passanten darauf lenken oder den Zweck des Gebäudes erklären. Vielleicht würde man die großen Fenster bemerken und bewundern und dann sehen, dass es sich um Glasfenster handelt, die nicht christlich sind. Nur wenige verstehen sofort, dass es sich hier um ein (1945 notdürftig eingerichtetes) Gotteshaus handelt. Es wurde nicht als Synagoge konzipiert, aber heute kann das Haus 120 Menschen am Sabbat zusammenbringen.

Die heutigen Nachbarn sind daran gewöhnt, dass die Polizei regelmäßig vorbeikommt. Sie fährt jede Stunde vorbei und sitzt draußen gegenüber während des Gottesdienstes im Auto; gleichzeitig, steht ein junger Mann vor den Toren – freundlich, aber wachsam. Er kommt aus Israel und arbeitet als Sicherheitsdienst Hand in Hand mit der Frankfurter Polizei.

“Wer ein Haus baut, will bleiben”.

50 Jahre Jüdische Gemeinde Frankfurt am Main.[1]

Seit 1906 treffen sich hier Juden, ursprünglich in einem lebhaften Kindergarten für die Kleinen der Gemeinde; gleich nach dem Zweiten Weltkrieg in einem dringend nötigen Betsaal; und dann endlich in einer eingeweihten Synagoge. Der Begriff von der „zweiten Synagoge“ gilt nur für das heutige Frankfurt, jedoch nicht für die Frankfurter Vergangenheit. Vor dem Zweiten Weltkrieg gab es über 20 Synagogen im Frankfurter Stadtgebiet, die einer Gemeinde von 30.000 Juden dienten. Nur die Synagoge in der Freiherr-vom-Stein-Straße stand noch zu Kriegsende.

Die gewaltige Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts hat die Geschichte des Hauses im Baumweg beeinflusst und seinen Zweck verwandelt. Heute steht es da, nicht nur zum Gottesdienst, sondern auch als Symbol einer verschwundenen Zeit, verlorener Menschen und einer lebendigen Gemeinde, die vom Tode wieder ins Leben gerufen wurde.

Fast jeder in Frankfurt kennt die große, prachtvolle Westendsynagoge. Der Baumweg 5-7 befindet sich im Nordend. Unweit gab es einmal noch weitere Synagogen: am Börneplatz hat das Gebäude die Pogromnacht nicht überstanden; und an der Friedberger Anlage stand eine, für deren Brand man die Juden selbst verantwortlich gemacht hat. Diese Synagogen stehen nicht mehr, aber Denkmäler erinnern noch heute an sie, als stille Zeugen ihrer Existenz.

Seit dem Mittelalter gibt es Juden in der Stadt Frankfurt:

«Trotz verheerender Mißstände, jahrhundertelanger Verfolgung, Stigmatisierung und Diskriminierung entwickelte sich ein ausgeprägtes religiöses und soziales Gemeindeleben – orthodoxer Ritus, Festveranstaltungen, Schulbildung für die männliche Bevölkerung, religiöse und Gemeindeautonomie. Eine Vielzahl öffentlicher Einrichtungen – Lehrhaus, Festhaus, Herbergen für Reisende, Backhaus, Spital, Bad und Synagoge – zeugen von einem intensiven Gemeindeleben.» Siegbert Wolf, “In Frankfurt zu Hause”, aus “Frankfurt am Main: Jüdisches Städtebild”, Hrsg. von Siegbert Wolf, (Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag, 1996), S. 33

Hier ist auch zu erwähnen, dass die Gemeinde ein gut bestücktes Archiv hatte, aber nur ein paar Dokumente überlebten Hitlerzeit und Weltkriege.[2]

Das Haus im Baumweg war ursprünglich ein Kindergarten und keine Synagoge; ein Kindergarten für Israeliten hatte ab 1890 in Frankfurt existiert. Von Moritz und Johanna Oppenheimer gestiftet, war der Kindergarten ein wichtiger Teil einer Gemeinde von 22.000 Personen. Von Max Seckbach (1866 - 1922) entworfen, mit einem Gefühl für den zeitgenössischen Jugendstil, war das Haus eigentlich für Kleinkinder geplant. Einen großen Garten gab es auch. Die Moritz und Johanna Oppenheimersche Stiftung war nur eine von nahezu 500 jüdischen Stiftungen, Vereinen und Institutionen in Frankfurt, was ein beeindruckendes Bild von sozialem Engagement um die Jahrhundertwende darstellt.  

Seckbach, selber Jude, hat seine eigene Geschichte: Er entwarf drei Synagogen in Hessen und eine in Luzern, in der Schweiz. Seckbach studierte an der Technischen Hochschule Darmstadt. Seine Bautätigkeit begann 1894 mit einem Mehrfamilienhaus in der Frankfurter Mainstraße 20. Mindestens 21 weitere, zum größten Teil im Krieg zerstörte Gebäude wurden in Frankfurt von ihm errichtet.

Seine Synagogenbauten in Bad Homburg vor der Höhe (1905), Weinheim (1905) und Memmingen (1909) wurden in der Zeit des Nationalsozialismus zerstört. Die Synagoge in Luzern (1911/12) ist bis heute erhalten. Traurig zu berichten ist, dass seine Frau Amelie Buch 1944 deportiert wurde und in Theresienstadt starb.

1907 wurde der Neubau im Baumweg als „Moritz und Johanna Oppenheimerscher Kindergarten“ eingeweiht.

Die meisten wissen, was 1933 geschehen ist. Zu diesem Zeitpunkt gab es 30.000 Juden in Frankfurt. Nur sechs Jahre später, im April 1939, wurden der Kindergarten und alle Gelder von der Stadt Frankfurt beschlagnahmt durch die Zwangseingliederung sämtlicher jüdischen Stiftungen. Im Goldenen Buch der Stiftungen ist vermerkt, dass der Kindergarten 1938 aufgelöst worden ist. Andere Synagogen/Grundstücke und jüdische Friedhöfe in Frankfurt wurden ebenfalls beschlagnahmt. Jüdische Menschen in Frankfurt, wie auch anderswo im Reich, wurden deportiert.

Am 30. Januar 1941 wurde im Baumweg der 25. Frankfurter Kindergarten der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt (NSV) eingeweiht. Er hatte die Aufgabe, die Kinder in die NS-Ideologie einzuführen und zu indoktrinieren: Die kleinen Mädchen sollten zu guten Müttern werden, die Jungs zu tüchtigen Soldaten.

Am 29. März 1945 wurde Frankfurt von US-Truppen befreit. Unter der amerikanischen Militärregierung für jüdische Angelegenheiten wurde das Haus an die neu entstandene Jüdische Gemeinde zurückgegeben. Diese anfängliche Gruppe bestand aus 100 bis 150 Menschen, die den Krieg überlebt hatten, meistens dank ihrer Ehe mit nichtjüdischen Partnern, und 300 aus den Lagern wiedergekehrten Juden. Obwohl manche von ihnen z. B. in die Vereinigten Staaten weiterreisten, haben sich mit der Zeit viele wieder in Frankfurt niedergelassen. Zwischen April und Juli 1945 kehrten mehr als 400 Menschen aus den Lagern Buchenwald, Bergen-Belsen und Theresienstadt zurück.

Der erste Gottesdienst fand am 1. April 1945 in der Weiherstraße 6 statt, aber bald wurde das Haus im Baumweg zum Betsaal. Zu Kriegsende war das Haus intakt, aber das Hinterhaus, das doch im Krieg beschädigt worden war, wurde abgerissen. Ernst Guggenheimer (1880 - 1973), ein Architekt aus Stuttgart, der den Krieg überlebt hatte, fing an, das Haus zu sanieren.

Das Haus sollte nicht nur ein Betsaal sein. Der Inspektor Fritz Stein (1890-1957), ehemaliger Angestellter der Vorkriegsgemeinde, richtete sein Büro im Baumweg ein, um die Liegenschaften der Jüdischen Gemeinde verwalten zu können. Von 1945 bis circa 1965 diente der Baumweg 5 - 7 auch als Sitz der Gemeindeverwaltung.

Das Haus diente weiter der Gemeinde auf praktische Art und Weise: Die Betreuungsstelle hat folgendes geleistet: „Versorgung der Überlebenden mit Nahrung, Kleidung, Wohnraum und Möbeln.“[3] Rat und Tat wurden in wirtschaftlichen Fragen angeboten, auch Hilfe bei bürokratischen Angelegenheiten oder Unterstützung bei der Suche nach verschollenen Verwandten.[4] Sie half auch Christen, die wegen ihrer jüdischen Abstammung gelitten hatten. Die Betreuungsstelle wurde von „The American Joint Distribution Committee“ finanziell unterstützt, aber zum Beispiel auch von Privatpersonen und verschiedenen Organisationen im Ausland. Es kam ein Tag, wo die Gemeinde auch auf eine Wiedergutmachung vom Staat zählen konnte.

Zunächst war das Gebäude keine offizielle Synagoge, sondern - wie gesagt - ein Betsaal. Ab 15. Mai 1945 gab es regelmäßige Sabbatgottesdienste, und ab 28. November desselben Jahres gab es auch Religionsunterricht für Kinder. Mit der Zeit wurde das Haus ein Gemeindezentrum mit 1.000 Mitgliedern.

Die heutige Gemeinde, die sich im Baumweg trifft, ist eine bunte Mischung: Jung und Alt, Familien und Singles, Orthodoxe und Reformierte; es kommen auch Besucher aus den USA und Israel. Viele sprechen auch andere Sprachen wie Russisch, Jiddisch oder Hebräisch. Viele Kinder in der Gemeinde gehen in die Lichtigfeldschule, wo Sprachen sehr wichtig sind: Die Kinder können neben Deutsch auch Hebräisch, Englisch und Französisch lernen. Die Gemeinde im Baumweg heißt viele Kinder, die ihre Bar- oder Bat-Mitzva feiern, willkommen.

Diesen Blick in die Geschichte der Synagoge im Baumweg und ihren Kontext möchte ich mit einer Stimme von heute schließen; das letzte Wort möchte ich dem Vorstandsvorsitzenden der Jüdischen Gemeinde Frankfurt am Main, Prof. Dr. Salomon Korn (geb. 1943), geben:

Frankfurt am Main beherbergt „die derzeit aktivste jüdische Gemeinde in der Bundesrepublik Deutschland (…), seien es Gemeindeeinrichtungen wie Kindergärten, Schule, Jugendzentrum, Religionsschule, Altersheim, Volkshochschule und Synagoge, seien es kulturelle, wissenschaftliche oder politische Veranstaltungen zum Judentum.“[5]

Ein wichtiger Teil dieser Gemeinde ist der Baumweg 5-7.

Über die Autorin

Elizabeth Donaldson, M. A.

Als gebürtige Schottin und Englischlehrerin habe ich zehn Jahre in Deutschland studiert und gearbeitet, u. a. an der Universität München und an der Europäischen Schule in Bad Vilbel.

Der Anlass, dieses Thema zu erforschen, war die Tatsache, dass ich hier im Baumweg 5-7 wohnte — unterm Dach. Ich wollte mehr über die Geschichte des Hauses wissen: War es schon immer eine Synagoge? Wer hat das Haus gebaut und warum? Ich wollte auch lernen, was während der beiden Weltkriege in diesem Haus passiert war. Ich fand Quellen in der Deutschen Nationalbibliothek, auch im Institut für Stadtgeschichte und in Bücherläden.

E-Mail-Adresse: elizabethdonaldson@hotmail.com

Bibliographie / ausgewählte Quellen:

[1] “Wer ein Haus baut, will bleiben”. 50 Jahre Jüdische Gemeinde Frankfurt am Main. Anfänge und Gegenwart. (Hrsg.: Jüdisches Museum Frankfurt am Main. Frankfurt am Main, 1988)
[2] Die Archive sind heute bei der Universität Heidelberg.
[3] Wer ein Haus baut, ibid. S. 39
[4] Tauber, ibid., S. 86
[5] Siegbert Wolf, ibid. S. 33.

www.stadtgeschichte-FFM.de

  • Wer ein Haus baut, will bleiben, Katalog zur Ausstellung im Jüdischen Museum, Frankfurt am Main (Hrsg. von Georg Heuberger, Frankfurt am Main, 1998)
  • Michelle Mouton, From Nurturing the Nation to Purifying the Volk: Weimar and Nazi Family, (Cambridge University Press, Cambridge, 2013)
  • Alon Tauber, Zwischen Kontinuität und Neuanfang, (Hrsg. von der Kommission für die Geschichte der Juden in Hessen, Wiesbaden 2008)
  • Wolfgang Wippermann, Das Leben in Frankfurt zur NS-Zeit I, (W. Kramer & Co., Frankfurt am Main, 1986)
  • Siegbert Wolf, Jüdisches Städtebild (Hrsg. von Siegbert Wolf, Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main, 1996)
  • Thomas Zeller, Die Architekten und ihre Bautätigkeit in Frankfurt am Main in der Zeit von 1870 bis 1950 (Hrsg. vom Denkmalamt der Stadt Frankfurt am Main, 2004)